19. Februar 2016
Es ist bereits unser zweitletzter
Tag in Kolumbien und wir haben heute ein gedrängtes Programm. Erster
Programmpunkt: die Besichtigung der Aufkauf-Station und Cupping in Pitalito
(siehe mehr Infos dazu im Eintrag vom 20. Februar). Danach steht der Tag ganz
im Zeichen der Kaffeeproduzenten. Wir besuchen drei Bauern, die kürzlich in den
Zertifizierungsprozess aufgenommen wurden oder bereits seit längerer Zeit
zertifiziert sind.
Die erste Farm ist seit 1998 im
Besitz von Jorge Montoya. Das Stück Land
gehörte früher zu einer 20 Hektar grossen Kaffeefarm, auf der Jorge seit 1981 arbeitete. Im Zuge der Landreform wurde der Landbesitzer enteignet und das
Land, wie in vielen anderen Fällen, an die Arbeiter verteilt. Jorge Montoya’s
Farm ist heute 5 Hektaren gross und verfügt über ein grosses Beneficio und ein
Landhaus aus alten Zeiten. Ausführlich diskutieren wir mit Jorge über die
Geschichte seiner Kaffeefarm, den Kaffeeanbau und das Leben als Kaffeebauer. Jorge
erklärt stolz: „Yo amo el cafecito“. Er ist Bauer aus Leidenschaft und liebt
den Kaffee, da ihn der Kaffeeanbau sein ganzes Leben lang begleitet hat und ihm
genug Geld für Essen und ein einige cervezas
gegeben hat, wie er uns erzählt. Auch gebe seine Plantage ihm die
Freiheit, sich die Arbeit selbst einzuteilen und auch einmal einen halben Tag nicht zu arbeiten. Jorge hat seine Farm Stück für Stück aufgebaut (im
Zug der Deregulierung des Kaffeeanbaus und des dadurch entstehenden
Überangebots wurden hier alle Kaffeepflanzen ausgerissen und der Kaffeeanbau auf den betroffenen Parzellen für 4 Jahre ausgesetzt) und hat während seinen Jahren als Kaffeebauer mehrfach
von Regierungsprogrammen zur Förderung des Kaffeeanbaus und Unterstützung der
Kleinbauern profitiert (Subventionen, günstige Kredite etc.). Trotz allem
stehen die Kaffeebauern vor der Herausforderung, dass das Klima die Ernte
beeinflusst und je nach Jahr stark beeinträchtigen kann. Deshalb ist
Diversifizierung zentral: es werden nicht nur verschiedene Varietäten angepflanzt,
sondern auch mehrere Landwirtschaftsprodukte angebaut oder nach zusätzlichen
Einkommensquellen ausserhalb der Landwirtschaft gesucht. Jorge baut auf
seiner Plantage Avocados, Yuca, Zwiebeln und hat diverse Früchte an. Seine
Frau hat eine kleine Hühnerzucht und auch Vieh hält die Familie. Seinen Kaffee bringt Jorge mit der Chiva ins
Tal; der traditionelle, öffentliche Transportbus in den ländlichen Gebieten
Kolumbiens. Seit einigen Monaten ist Jorge im Prozess für die Zertifizierung. Seit Fazit bisher: „Uno aprende a trabajar, aunque ya tiene 60 años!“.
Der grosse Mehrwert sei das systematische Farm-Mangement und die
Dokumentation, bei der ihm sein Sohn hilft (Jorge hat nur während drei Jahren
die Schule besucht). Auch wenn er schon 60 Jahre alt ist, sei es nie zu spät zu
lernen, wie professioneller und fachgerechter Kaffeeanbau aussieht. Mit den Agronomen, die ihn auf die
Zertifizierung vorbereiten, diskutiert er während unseres Besuchs, wie er eines
der Lots seiner Plantage am besten erneuern soll; Neupflanzung? Oder einfach
nur ein starkes oder mittleres Zurückschneiden? Was macht aus agrartechnischer
sowie wirtschaftlicher Perspektive Sinn?
Kaffeebohnen dienen als Basis für die Setzlinge |
Nach dem Mittagessen
in Garzon fahren wir erneut in die Berge, diesmal in ein anderes Tal. Die
Gegend scheint uns unendlich weitläufig und immer wieder öffnen sich neue
Blicke und Aussichten. Überall sieht man Kaffeeplantagen, zum Teil gemischt mit
Bananenbäumen und Maisfeldern (beides wird traditionell dann gesetzt, wenn der
Kaffee neu gepflanzt oder stark zurückgeschnitten wurde, so dass die Fläche
optimal genutzt werden kann). Nach rund einer halben Stunde Fahrt halten wir an
und steigen aus. Eine junge Familie begrüsst uns herzlich. Von der ersten
Minute herrscht eine vertraute und ausgelassene Stimmung. Auf den rund 2
Hektaren Land produziert die junge Familie neben Kaffee auch Bananen. Die
Mutter des Bauern wohnt ebenfalls im Haus; sie führt einen kleinen Imbiss und einen
Catering Service für Tamales und weitere traditionelle kolumbianische Gerichte.
Im Gespräch mit dem 28 alten Manuel Ciceri stellen fest, dass ein grosser
Vorteil der Zertifizierung darin besteht, dass über alle Kosten und
Aufwendungen genau Buch geführt werden muss. Sämtliche Arbeiten auf der Farm werden
akribisch dokumentiert (Düngung, Ernte, Erntehelfer, Arbeiten auf der Farm etc).
Am Anfang war dies eine grosse Umstellung und Mehraufwand. Doch nach einiger
Zeit fällt die administrative Arbeit leichter und die Vorteile überwiegen. Bei
der von uns besuchten Familie scheint sich die Rollenverteilung klar zu sein.
Der Mann kümmert sich um die Arbeit auf dem Feld, während die Frau für die
Finanzen und die Schreibarbeiten zuständig ist. Mit einem verliebten
Augenzwinkern gibt Manuel zu verstehen, dass es für ihn nicht schlimm ist, bei
seiner Frau um Taschengeld für ein Bier zu bitten.
Ein weiterer Vorteil
der Zertifizierung ist die Organisation der Bauern untereinander. So haben sich
hier ursprünglich 30 Bauern zu einer Gruppe organisiert, welche den Zweck hat, den
Transport des Kaffees zu gewährleisten. Gemeinsam wird ein für den
Kaffeetransport geeignetes Fahrzeug gemietet. So ist sichergestellt, dass der
Kaffee auf der Fahrt ins Tal keinen Schaden nimmt oder mit anderen Kaffeebohnen
vermischt wird. Wir sind beeindruckt von der Aufgeschlossenheit und Motivation
dieses jungen Bauern und seiner Familie.
Manuel möchte das Landleben, trotz der Herausforderungen und der nie
endenden Arbeit nicht missen und sagt, es gebe ihm eine Gefühl von Glück und
Unabhängigkeit, täglich durch seine Plantage zu marschieren und eine frische
Organe vom Baum zu pflücken. Wir könnten noch stundenlang diskutieren, doch die
Zeit vergeht wie im Flug und wir müssen weiter. E-Mail Adressen werden
ausgetauscht und schon sind wir unterwegs zum nächsten Bauern, welcher
glücklicherweise nicht weit entfernt liegt.
Ursprünglich war Luis
Leon in der Viehzucht tätig. Erst seit
14 Jahren ist er Kaffeebauer. Luis sieht seinen Vorteil darin, dass er in den
letzten Jahren alles über den Kaffeeanbau neu erlernen musste, während die
Kaffeebauern, welche schon immer Kaffee produzierten, bereits alles über Kaffee
wissen (das schelmische Lachen von Luis lässt uns erahnen, dass die
traditionellen Produzenten nicht ausgelernt haben). Luis erklärt uns, dass ihn der Kaffeeanbau
gepackt hat und er sich nicht vorstellen kann, etwas anderes als Kaffee zu
produzieren. Und je intensiver man sich mit dem Kaffee und seiner Plantage
beschäftige, desto mehr Leidenschaft würde er für den Kaffeeanbau entwickeln. Neben
der besuchten Plantage von 4 Hektaren, wo Luis mit seiner Familie wohnt, hat die
Familie noch eine 20 Hektaren grosse Farm in einer höheren Region. Auch Luis
hat verschiedene andere Crops auf kleinen
Parzellen seiner Finca. Das neuste Produkt: ein Feld mit Agaven, welche für
Schönheitsprodukte verwendet werden. Luis ist seit vielen Jahren zertifiziert.
Vor diesem Hintergrund hat er in den letzten Jahren viele verschiedene
Schattenbäume gesetzt, die heute dafür sorgen, dass auf seiner Plantage ein reges
Vogelgezwitscher zu hören ist. Der zentrale Vorteil der Zertifizierung für Luis
ist, durch die regelmässigen Kontrolle zur kontinuierlichen Verbesserung
motiviert und dabei begleitet zur werden.
Während unserem Farm-Besuchen
haben wir auch die Gelegenheit mit den Agronomen zu sprechen, die die Bauern im
nachhaltigen Kaffeeanbau unterstützen. Täglich sind sie mit dem Moto im Feld
unterwegs und betreuen je rund 100 Bauern und ihre Familien. Mit dem ipad
werden alle Farmbesuche dokumentiert. Sie erzählen uns, dass ihre Arbeit einer
Mischung aus Pädagogik, Agronomie, Psychologie und sozialer Arbeit entspricht. Um beim Verkauf von
zertifiziertem Kaffee mehr Flexibilität zu haben und die Volatilität der
Nachfrage nach einem spezifischen Zertifikat abzufedern, werden hier die Bauern
hier gleichzeitig nach mehreren Standards zertifiziert (UTZ, Rainforest, 4C).
Um die die Betreuung der Produzenten zu vereinfachen, wurde ein
Nachhaltigkeits-Programm entwickelt, welches unabhängig vom eigentlichen
Zertifikat und der jährlichen Nachfrage umgesetzt wird. Obwohl die Produzenten
teilweise intensiv betreut werden, sind letztere frei in der Wahl ihres Kunden,
an dem sie den Kaffee liefern. So gibt es Produzenten, die in mehreren Nachhaltigkeits-Programmen
eingebunden sind und Besuch von Agronomen verschiedener Exporteure erhalten. Am
Tag einer spezifischen Kaffee-Lieferung wird der Kaffee der meist bietenden
Kaffee-Aufkaufs-Station verkauft.
Maschine zum Entpulpen |
Mais zwischen neu gepflanztem Kaffee |
In den letzten zwei Tagen konnten
wir einen kurzen Einblick in den Kaffeeanbau Huila‘s erhalten. Vor allem die
Aufgeschlossenheit, der Stolz und die Leidenschaft der Bauern für den Kaffee
hat uns beeindruckt. Die Jahrzehnte alte Kaffee-Kultur und die starke
Unterstützung der Kaffeebauern durch die Regierung scheint hier in Kolumbien
einen positiven Einfluss zu haben.